Konstruktionssystematische Vorgehensweise bei der Modellierung von Einzelteilen


In dem folgenden Kapitel soll die Modellierung von Einzelteilen unter Berücksichtigung der bevorstehenden Zeichnungsableitung behandelt werden.

An dieser Stelle soll betont werden, dass mit Solid Edge modelliert und nicht gezeichnet wird. Der Anwender fertigt ein virtuelles Werkstück. Aus diesem Grund sollte man vor der Modellierung etwas Zeit für die Planung verwenden und sich folgende Fragen stellen:

Handelt es sich bei dem zu fertigenden Teil um ein Drehteil, ein Frästeil oder ein Blechteil? Welches sind die einzelnen Arbeitsschritte und in welcher Reihenfolge müssen sie erfolgen? Welches sind die erforderlichen Steuergrössen, über die das Teil später angepasst werden soll? Welche Modellierungsmethode des Grundkörpers (Ausprägung, Rotationsausprägung, geführte Ausprägung, ...) ist am geeignetsten? Welche Abmessungen sollte der Grundkörper haben, und wie sollte er zu den drei Basisebenen ausgerichtet sein?

Die konstruktionssystematische Vorgehensweise bei der Modellierung von Einzelteilen soll anhand weiterer Beispiele demonstriert werden. Man betrachte zunächst die Modellierung der unten dargestellten Führungsleiste:


Im allgemeinen Maschinenbau werden viele Werkstücke aus in Stangenform lieferbaren Halbzeugen gefertigt. Das Rohmaterial wird von der Stange abgelängt und anschliessend an den Werkzeugmaschinen spanend bearbeitet. Modelliert man solche Teile in Solid Edge, so wird lediglich der Grundkörper als Ausprägung ausgeführt, alle folgenden Arbeitsschritte sind Ausschnitte. Die äusseren Abmessungen des Fertigteils geben somit die Abmessungen des Grunkörpers vor. In diesem Beispiel erhält die Ausprägung des Grundkörpers die Abmessungen 20mm x 40mm x 120mm.

Die symmetrische Anordnung der Nut und der Bohrungen in diesem Teil ist sehr auffällig. Gerade bei symmetrischen Teilen sollte man vorausschauend modellieren, um sowohl den Aufwand während der Modellierung, als auch bei späteren Anpassungen so gering wie möglich zu halten. Die symmetrische Anordnung der einzelnen Bearbeitungsschritte ist bereits bei der Modellierung des Grundkörpers zu berücksichtigen. Gilt bei der 2D-Konstruktion die Aussage „Am Anfang war die Mittellinie“, so gilt beim Modellieren mit Solid Edge die Aussage „Am Anfang waren die drei Basisbezugebenen“. Die drei Basisbezugsebenen können weder geändert, noch gelöscht werden. Diese Eigenschaft sollte genutzt werden, indem man, wenn möglich, Referenzen auf diese Basis aufbaut. Aus diesem Grund wird im gegebenen Beispiel das Profil des Grundkörpers symmetrisch zu den vorhandenen Basisbezugebenen ausgerichtet.

Die Abmessungen des Profils werden gleich mit der erforderlichen Fertigungstoleranz angegeben.

Die Möglichkeit, die Masse schon in der Profilerstellung mit den erforderlichen Toleranzen zu versehen, wird viel zu wenig beachtet. Ohne diese Toleranzinformationen ist ein technischer Zeichner, der von den Modellen eines Konstrukteurs Zeichnungsableitungen erstellen soll, nicht in der Lage funktionsgerechte Zeichnungsableitungen zu erstellen.

Nach Verlassen der Skizzierumgebung wird das Profil des Grundkörpers gleich symmetrisch zur Profilebene ausgeführt.

Um die Nut immer in ihrer symmetrischen Lage zu fixieren, verbindet man den Mittelpunkt der horizontalen Linie mit der vertikalen Bezugsebene. Bei dem gezeichnete Profil handelt es sich um ein sogenanntes offenes Profil. Bei offenen Profilen schneidet Solid Edge in Richtung der Öffnung. Die begrenzenden Linien, welche in Öffnungsrichtung ausgerichtet sind (in diesem Fall die beiden Vertikalen), müssen nur angedeutet skizziert werden. Sie müssen also nicht die Endpunkte mit der Körperkante des Grundkörpers verbinden. Ein offenes Profil verlängert das Feature immer bis an die Körperkanten des Solids. Wird für die Bemassung des Profils die Smart Dimension-Funktion verwendet, könnte diese Vorgehensweise, des offenen Profils, zu dem im unteren Bild dargestellten Profil führen.

Man sieht deutlich, dass die Abmessungen der so entstandenen Nut, nicht dem Sollzustand entsprechen wird. Solch ein Fehler ist in der Regel nicht so einfach zu erkennen, wie in diesem Beispiel, da sich die Auswirkungen meist im Bereich weniger zehntel Millimeter bewegen. Bei späteren Änderungen des Teils können daraus aber mehrere Millimeter werden. Mit einer Abstandsvermassung zwischen der horizontalen Profilkante zur Körperkante des Grundkörpers hätte man das gezeigte Problem vermeiden können. Erfahrungsgemäss sind solche Modellierungsfehler kein Einzelfall, sie lassen sich aber vermeiden, wenn wirklich alle Geometrieelemente durch die Vergabe von impliziten und expliziten Beziehungen eindeutig in ihrer Lage fixiert sind. Im gegebenen Beispiel muss man darauf achten, dass die Linienendpunkte der vertikalen Profillinien mit der begrenzenden Körperkante des Grundkörpers verbunden sind (siehe nächstes Bild).

Da die Stiftbohrungen immer mittig zur Werkstücktiefe liegen sollen, verbindet man die Kreismittelpunkte mit der horizontalen Bezugsebene. Um die Stiftbohrungen auch noch symmetrisch zur vertikalen Bezugsebene auszurichten, bedient man sich der Möglichkeit, eine Hilfsgeometrie in der Profilumgebung zu erstellen. Hierzu legt man eine horizontale Linie zwischen die Mittelpunkte der Bohrungen und verbindet deren Mittelpunkt mit dem Mittelpunkt der vertikalen Bezugsebene. Zum Schluss setzt man noch das Abstandsmass zwischen den Bohrungen. Man sieht deutlich, dass zur vollständigen Bestimmung des Profils nur die zur Profilsteuerung benötigte explizite Beziehung gesetzt werden muss.

Für die Funktion des Teils ist es von Bedeutung, dass die Lage der beiden Bohrungen in beiden Richtungen einen bestimmten Toleranzbereich nicht überschreitet. Aus diesem Grund ergänzt man das Profil mit einem weiteren Abstandsmass. Da die Lage des Profils bereits vollständig bestimmt ist, erscheint das neu plazierte Mass in einer anderen Farbe. Hierdurch signalisiert Solid Edge, dass dieses Mass kein Steuermass ist, sondern informellen Charakter hat. Diese Einschränkung schmälert nicht seine Bedeutung. Da die Zeichnungsableitung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, besteht die Gefahr, dass die Notwendigkeit der genauen Tolerierung in Vergessenheit gerät, wenn man dieses Mass nicht bereits bei der Modellierung einbringt. Da Stiftbohrungen in der Toleranzklasse H7 gefertigt werden, Bohrungstoleranzen aber nicht über die Bohrungsfunktion definiert werden können, fügt man dem Profil einfach ein weiteres informatives Mass zu.

Im Bohrungsmodul erkennt Solid Edge alle Geometrieelemente, die nicht über die Bohrungsfunktion hinzugefügt werden, als Hilfsgeometrie an (auch Kreise). Beim Verlassen der Profilumgebung wandelt Solid Edge die zusätzliche Geometrie in Hilfsgeometrie um (siehe nächstes Bild).

Man könnte sich fragen, weshalb man die Stiftbohrung mit dem Bohrungsmodul und nicht als Ausschnitt modelliert. Schliesslich hätte man dann dem Profil die Durchmesserbemassung mit Toleranz als Steuermass zufügen können. Die gewählte Vorgehensweise lässt sich wie folgt begründen:

1. Erstellt man die Bohrungen als Ausschnitt, indem man mehrere Kreise in der Profilumgebung setzt, so ist jeder Kreis ein von den anderen Kreisen unabhängiges geschlossenes Profil. Das bedeutet, man muss den Kreisen durch Setzen der impliziten Beziehung „Gleich(wertig)“ mitteilen, dass sie den gleichen Durchmesser haben. Nutzt man jedoch die Bohroption, wird dies von Solid Edge übernommen.

2. Auch wenn wie hier, mit einem Feature mehrere Bohrungen modelliert werden, erkennt Solid Edge ein Bohrmuster. Im Baugruppenmodul muss also nur eine Schraube plaziert werden. Die anderen Schrauben werden als Muster gesetzt.

3. Bei der Erstellung von Bohrungstabellen in der Zeichnungsableitung stehen einem mehrere nützliche Funktionen zur Verfügung, wenn man Bohrungen als Bohrungen modelliert und nicht als Ausschnitte.

Auch bei der Platzierung der Senkbohrungen legt man so viele Freiheitsgrade wie möglich durch implizite Beziehungen fest. Da der horizontale Bohrungsabstand immer der gleiche sein soll, wie der der Stiftbohrungen, richtet man die Mittelpunkte der Senkbohrungen vertikal mit den Mittelpunkten der Stiftbohrungen aus. Gesteuert wird das Abstandsmass mit dem des vorherigen Profils, also dem der Stiftbohrungen. In der Vertikalen richtet man die Bohrungen wieder mit Hilfsgeometrie symmetrisch zur horizontalen Bezugsachse aus.


Da die Toleranz des horizontalen Abstandsmasses der Senkbohrungen jedoch eine andere ist, als die der Stiftbohrungen, fügt man dem Profil wieder ein informatives Mass hinzu (90±0,1).


Um bei aufwendigeren Teilen die Übersichtlichkeit der einzelnen Features gewähleisten zu können, besteht in der Edge Bar die Möglichkeit, den einzelnen Features aussagekräftige Bezeichnungen zuzuweisen. Somit besteht auch die Möglichkeit, Informationen über die Bohrungsart und Tolleranz festzuhalten.


Was soll das Beispiel „Führungsstück“ vermitteln:


1. Die Modellierung will geplant sein.

2. Die Steuergrössen, mit denen das Teil angepasst werden soll, müssen definiert werden.

3. Lediglich der Grundkörper wird als Ausprägung ausgeführt, alle folgenden Arbeitsschritte sind Ausschnitte oder Bohrungen. Die äusseren Abmessungen des Fertigteils geben somit die Abmessungen des Grundkörpers vor.

4. Wenn möglich, bildet man Referenzen auf die drei Basisbezugsebenen. Da diese weder geändert noch gelöscht werden können, bilden sie eine solide Basis für einen stabile Modellierung.

5. Die Steuermasse sollen gleich mit der erforderlichen Toleranz angegeben werden.

6. Wenn zu tolerierende Masse durch implizite Beziehungen gesteuert werden, fügt man dem Profil weitere informative Masse zu. Diese haben keine Steuerfunktion, weshalb sie von Solid Edge in einer anderen Farbe dargestellt werden.

7. Die einzelnen Features können mit weiteren Informationen versehen werden, indem man in der Edge Bar die entsprechenden Bezeichnungen modifiziert.

Weiteres :

- Das Ausgangsprofil sollte so einfach wie möglich gehalten werden.

- Das Ausgangsprofil kreissymmetrischer Teile (Drehteile) sollte als Rotationsausprägung erstellt werden.

- Die Profile der einzelnen Ausschnitte sollten so einfach wie möglich gestaltet werden.
Dies fördert die Übersichtlichkeit, was bei Änderungen wichtig ist. Auch halten sich die zu vergebenden Randbedingungen für eine vollständige Parametriesierung im überschaubaren Rahmen. Siehe hierzu 3D-Modellierung mit variabler Geometrie.

- Erledigen Sie nicht mehrere Arbeitsgänge mit einem Feature/Skizze (Ausprägung, Ausschnitt, usw.):

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Man kann jedem Feature eine beschreibende Bezeichnung geben, was die Übersichtlichkeit fördert. Änderungen an einzelnen Arbeitsgängen lassen sich gezielt durchführen. Fallen einzelne Arbeitsschritte weg, können sie einfach gelöscht werden. Werden jedoch mehrere Arbeitsgänge mit einem Feature erschlagen, muss man in der Profilumgebung das Profil des Features ändern.